16.11.2004
BVerfG zur Werbung von Steuerberatungsgesellschaft auf Straßenbahnwagen - 1 BvR 981/00 -

Bundesverfassungsgericht Pressemitteilung Nr. 100/2004 vom 16. November 2004 zum Beschluss vom 26. Oktober 2004 - 1 BvR 981/00 -

Werbung von Steuerberatungsgesellschaften

Eine Steuerberatungsgesellschaft, die auf einem Straßenbahnwagen für ihr
Unternehmen warb (Beschwerdeführerin; Bf), hatte mit ihrer
Verfassungsbeschwerde (Vb) gegen die wettbewerbsrechtliche Verurteilung
wegen unzulässiger Werbung Erfolg. Der Erste Senat des
Bundesverfassungsgerichts hat das angegriffene Urteil des
Oberlandesgericht (OLG) aufgehoben, da es die Bf in ihrem Grundrecht aus
Art. 12 Abs. 1 GG verletzt. Die Sache wurde an das OLG zurück verwiesen.

Zum Sachverhalt:
Die Bf ließ auf einem Straßenbahnwagen über dessen Länge neben ihrem
Firmenlogo und ihrer Adresse die Aufschrift anbringen „Ihr Partner in
Sachen Steuer- und Wirtschaftsberatung“ und „Ihr Dienstleistungszentrum
im Herzen von …“. Die zuständige Steuerberaterkammer hatte mit ihrer
zivilgerichtlichen Unterlassungsklage nach dem Gesetz gegen den
unlauteren Wettbewerb (UWG), das damals noch in der Fassung des Gesetzes
von 1998 galt und inzwischen durch das Gesetz von 2004 abgelöst worden
ist, vor dem OLG Erfolg. Mit ihrer Vb rügt die Bf eine Verletzung von
Art. 12 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 19 Abs. 3 GG.

In den Gründen der Entscheidung heißt es im Wesentlichen:
1. Die berufliche Außendarstellung eines freiberuflich Tätigen
einschließlich der Werbung für die Inanspruchnahme seiner Dienste fällt
in den Schutzbereich des Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG, der die freie
Berufsausübung schützt. Bei der Auslegung berufsbeschränkender Normen
hat der Richter neben der Bedeutung des Grundrechts auf
Berufsausübungsfreiheit den Vorrang des parlamentarischen Gesetzgebers
zu beachten. Es ist primär Sache des Gesetzgebers, zu entscheiden,
welche öffentlichen Aufgaben er auf eine Körperschaft des öffentlichen
Rechts überträgt. Erweitern Gerichte Eingriffsmöglichkeiten, haben sie
sich im Rahmen der Festlegungen zu halten, für die der parlamentarische
Gesetzgeber die Verantwortung übernommen hat.

2. Das angegriffene Urteil steht mit Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG in
Einklang, soweit das Gericht der Steuerberaterkammer die Klagebefugnis
gem. § 13 Abs. 2 Nr. 2 UWG a.F.  zuerkannt hat.

Verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist die Auffassung des OLG,
dass die Steuerberaterkammer zur Erfüllung ihrer Aufgabe nicht auf
solche Mittel beschränkt ist, die im Steuerberatergesetz (StBerG)
ausdrücklich genannt sind. § 76 Abs. 2 StBerG zählt die Befugnisse der
Steuerberaterkammern nur beispielhaft auf. Handlungsermächtigungen
können sich daher auch aus anderen Bundesgesetzen, wie dem UWG, ergeben.
Zwar sah § 13 UWG a.F. keine ausdrückliche Klagebefugnis für die Kammern
vor, denen die freiberuflich Tätigen verpflichtend angehören. Die
Wettbewerbsklage gegen Kammermitglieder ist in langjähriger
Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs jedoch für zulässig erachtet
worden, da Verstöße gegen Berufspflichten häufig einen
wettbewerbsrechtlichen Bezug haben, weil sie andere Marktteilnehmer
benachteiligen. Die zivilgerichtliche Untersagungsverfügung habe
gegenüber berufsrechtlichen Aufsichtsmaßnahmen nach dem StBerG eine
höhere Effizienz, lasse aber die im Berufsrecht niedergelegten Rechte
und Pflichten der Kammer und ihrer Mitglieder unverändert.
Diese Auslegung erweitert die Eingriffsmöglichkeiten der Kammern
gegenüber ihren Mitgliedern. Sie dient der Wahrung der Gesamtinteressen
des Kammerverbundes und hält sich damit in den Grenzen, die die
Verfassung der Rechtsprechung bei der Normauslegung setzt.

Bei der Anwendung auf den Einzelfall müssen die Gerichte anhand des
verfassungsrechtlichen Maßstabs des Art. 12 Abs. 1 GG darüber
entscheiden, wann das Vorgehen im Zivilrechtsweg angemessen ist und
nicht unverhältnismäßig in die Berufsausübungsfreiheit der
Kammermitglieder eingreift. Unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten
kann es erforderlich sein, das Vorgehen der Kammer auf die Mittel des
Aufsichtsrechts nach dem StBerG zu beschränken; denn diese sind aus der
Sicht der Berufsangehörigen milder, weil sie nur bei einem Verschulden
des Kammermitglieds angewandt werden dürfen. Auch unter diesem
Gesichtspunkt ist die vom OLG vorgenommene Gesetzesauslegung
verfassungsrechtlich unbedenklich. Die Verfolgung von Verstößen gegen
Berufspflichten, die zugleich Wettbewerbsverstöße zur Folge haben, liegt
im Interesse aller Kammerangehörigen. Den Zivilgerichten kommt insoweit
die Aufgabe zu, die Berufspflichten auf ihre Übereinstimmung mit dem
ermächtigenden Gesetz und insbesondere mit der Verfassung zu prüfen. Die
Kammern können den Zivilgerichten diese Prüfpflicht nicht abnehmen.

3. Die Bewertung der Straßenbahnwerbung als unlauter verletzt hingegen
die Bf in ihrem Grundrecht aus Art. 12 Abs. 1 GG.

Werbung als Teil beruflicher Betätigung ist auch dem Steuerberater
grundsätzlich erlaubt. Als berufswidrig kann Werbung von der Kammer
unterbunden werden, wenn das Verhalten den Rückschluss nahe legt, der
mit diesen Mitteln Werbende werde nicht Gewähr dafür bieten, aus
Rücksicht auf die Steuerrechtspflege und die Interessen seiner Mandanten
das persönliche Gewinnstreben zurückzustellen. Das Gebot der
Sachlichkeit verlangt nicht, sich auf die Mitteilung nüchterner Fakten
zu beschränken. Information über die Art der beabsichtigten
Zusammenarbeit oder über die Atmosphäre, die bei der Erbringung der
Dienstleistungen angestrebt wird, befriedigen ein legitimes
Informationsbedürfnis der Nachfrager. Allein aus dem Umstand, dass eine
Berufsgruppe ihre Werbung anders als bisher üblich gestaltet, kann nicht
gefolgert werden, dass dies berufswidrig wäre.

Diesen Grundsätzen wird die angegriffene Entscheidung nicht gerecht.
Nach Auffassung des OLG dürfen Steuerberater zwar auf einer Straßenbahn
werben, die Werbung müsse aber schon ihrer Art und Größe nach von der
üblichen Straßenbahnwerbung verschieden gestaltet werden. Diese
Argumentation schränkt die  Möglichkeiten der Präsentation ein, ohne
einen Bezug zu den hiermit verbundenen Gefährdungen für das berufliche
Verhalten und das Bild der Berufsangehörigen in der Öffentlichkeit
herzustellen. Eine solche Beschränkung ist unverhältnismäßig und lässt
sich auch nicht mit dem Inhalt der Werbeaussage begründen. Der Zusatz
„Ihr Partner in Sachen …“ kennzeichnet die beabsichtigte Berufsausübung
als partnerschaftlich. Dies steht mit den Berufspflichten des StBerG in
Einklang.

Beschluss vom 26. Oktober 2004 – 1 BvR 981/00 –

BVerfG, 1 BvR 981/00 vom 26.10.2004, Absatz-Nr. (1 - 63)

http://www.bverfg.de/entscheidungen/rs20041026_1bvr098100.html