05.01.2005
BVerfG Zur Neuregelung der Arbeitnehmerüberlassung

BVerfG Zur Neuregelung der Arbeitnehmerüberlassung
Beschluss vom 29. Dezember 2004 - 1 BvR 2283/03, 1 BvR 2504/03 und 1 BvR 2582/03 -

Die Verfassungsbeschwerden (Vb) von acht Verleihunternehmen und zwei
Arbeitgeberverbänden der Leiharbeitsbranche, die sich gegen § 3 Abs. 1
Nr. 3, § 9 Nr. 2 und § 10 Abs. 4 Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG)
wandten, sind von der 2. Kammer des Ersten Senats des
Bundesverfassungsgerichts nicht zur Entscheidung angenommen worden.
Durch die angegriffenen Vorschriften werden Grundrechte der
Beschwerdeführer (Bf) nicht verletzt.

Rechtlicher Hintergrund:
Durch das Erste Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom
23. Dezember 2002 wurde das Recht der Arbeitnehmerüberlassung teilweise
neu konzipiert. Eine Reihe von Beschränkungen wurden aufgehoben. Im
Gegenzug wurden verschiedene Regelungen zur Verbesserung der Stellung
des Leiharbeitnehmers in das Gesetz aufgenommen (§ 3 Abs. 1 Nr. 3, § 9
Nr. 2 und § 10 Abs. 4 AÜG). Danach ist der Verleihunternehmer
verpflichtet, dem Leiharbeitnehmer die wesentlichen Arbeitsbedingungen
einschließlich des Arbeitsentgelts vergleichbarer Stammarbeitnehmer im
Entleiherbetrieb zu gewähren. Den Tarifvertragsparteien der
Leiharbeitsbranche wird jedoch das Recht eingeräumt, durch Tarifvertrag
von diesen Vorgaben abzuweichen. Außerdem können im Geltungsbereich
eines solchen Tarifvertrags die nicht tarifgebundenen Arbeitgeber und
Arbeitnehmer die Anwendung der tariflichen Regelungen vereinbaren.
Abweichende einzelvertragliche Vereinbarungen sind jedoch unwirksam.

Die Bf rügen unter anderem eine Verletzung ihrer Koalitionsfreiheit
(Art. 9 Abs. 3 GG), der Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) und des
Rechts auf Gleichbehandlung (Art. 3 Abs. 1 GG).

Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde:
1. Die beschwerdeführenden Arbeitgeberverbände werden durch die
angegriffenen Gesetzesvorschriften nicht in ihrer Koalitionsfreiheit,
deren Schutz auch die Tarifautonomie umfasst, verletzt.

Ob angesichts der in den angegriffenen Vorschriften ausdrücklich
geregelten Tariföffnungsklausel überhaupt in den Schutzbereich der
Koalitionsfreiheit eingegriffen wird, kann offen bleiben. Der Eingriff
wäre jedenfalls verfassungsrechtlich gerechtfertigt.

a) Die angegriffenen Vorschriften dienen der Verbesserung der Stellung
der Leiharbeitnehmer und damit dem Schutz ihrer Berufsfreiheit. Durch
die Regelung der Arbeitsbedingungen soll für die Leiharbeitnehmer ein
angemessenes Schutzniveau gewährleistet werden. Gesetzgeberisches
Anliegen war es, die gesellschaftliche Akzeptanz und die Qualität von
Leiharbeit zu steigern und dadurch die Stellung des Leiharbeitnehmers
auf dem Arbeitsmarkt zu stärken.

b) Die gesetzlichen Regelungen dienen auch einem verfassungsrechtlich
legitimierten Gemeinwohlbelang. Denn sie sollen neue
Beschäftigungsmöglichkeiten erschließen. Leiharbeit soll insbesondere
als Brücke aus der Arbeitslosigkeit in Beschäftigung genutzt werden. Die
Bekämpfung von Massenarbeitslosigkeit ist ein Ziel, das Verfassungsrang
hat. Die angegriffenen Vorschriften sind geeignet, einen Beitrag zur
Schaffung neuer Arbeitsplätze zu leisten.

c) Die Regelungen wirken sich auf die Tarifautonomie nicht übermäßig
belastend aus. Denn auf Grund der gesetzlichen Tariföffnungsklausel wird
das Betätigungsrecht der Tarifvertragsparteien nicht eingeschränkt. Sie
können die Arbeitsbedingungen flexibler gestalten, falls sie die
gesetzliche Regelung als zu starr empfinden. Tatsächlich sind seit In-
Kraft-Treten der angegriffenen Vorschriften die Arbeitsbedingungen in
der Leiharbeitsbranche faktisch durchweg durch tarifliche Regelungen
gestaltet worden.
Die angegriffenen Regelungen sind den Verleihunternehmen auch zumutbar.
Denn die vom Gesetzgeber angestrebte steigende Qualität und Akzeptanz
von Leiharbeit nützt auch ihnen, da sich hierdurch ihre
Wettbewerbsbedingungen und ihre Stellung im Arbeitsmarkt verbessern
können.

2. Die negative Koalitionsfreiheit der beschwerdeführenden
Verleihunternehmen ist ebenfalls nicht verletzt. Sie bleiben frei darin,
einem Arbeitgeberverband fernzubleiben oder sich mit einem anderen
Unternehmen zu einem neuen Arbeitgeberverband zusammenzuschließen. Auch
steht es ihnen frei, sich nicht an den Regelungen eines
Verbandstarifvertrages zu orientieren. Sie können auch ohne Anschluss an
einen Arbeitgeberverband selbst einen Tarifvertrag vereinbaren.

3. Die angegriffenen Normen verletzen auch nicht die Berufsfreiheit. Sie
greifen zwar in die Berufsausübung der beschwerdeführenden
Verleihunternehmen ein. Denn deren Recht, Verträge nach ihrem Willen zu
gestalten, wird durch die Regelungen beeinträchtigt. Der Eingriff ist
jedoch gerechtfertigt. Der Gesetzgeber hat einen Ausgleich getroffen
zwischen dem Interesse des Leiharbeitnehmers an zumutbaren
Arbeitsbedingungen und dem Interesse des Arbeitgebers, die
Arbeitsbedingungen möglichst kostengünstig gestalten zu können. Dieser
Ausgleich ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, da die
Regelungen einem legitimen Zweck dienen und verhältnismäßig sind.

4. Auch das Gleichheitsgebot ist nicht verletzt. Die Arbeitgeber der
Leiharbeitsbranche werden gegenüber den Arbeitgebern anderer Branchen
nicht wesentlich ungleich behandelt. Zwar wird für andere Branchen das
Arbeitsentgelt nicht gesetzlich geregelt. Die angegriffenen Vorschriften
legen aber gerade keine einheitlichen, sondern, je nach Einsatzbranche
des Leiharbeitnehmers, unterschiedliche Arbeitsbedingungen fest. Zudem
wird den Verleihunternehmen - wie den Arbeitgebern in anderen Branchen
auch - die Möglichkeit eröffnet, die Arbeitsbedingungen tariflich zu
gestalten.

Beschluss vom 29. Dezember 2004  1 BvR 2283/03, 1 BvR 2504/03 und 1 BvR 2582/03 
Pressemitteilung Nr. 1/2005 vom 5. Januar 2005